1)
Matthias Ulrich: Der öffentliche Raum ist ein von Interessen umkämpfter Raum. Michel der Certeau beschreibt den (öffentlichen) Raum überdies als Resultat der darin vorkommenden Aktivitäten. Warum ist es wichtig, dass sich Kunst in diesen Kampf, in diese Aktivitäten einmischt, und welche Siege kann sie dabei erzielen?
Wiebke Grösch/Frank Metzger: Der Begriff „Kampf“ trifft es unserer Meinung nach nicht. Heutzutage finden die meisten Auseinandersetzungen nicht in der handgreiflichen Konfrontation der Kontrahenten, sondern in Sitzungssälen und den Medien statt. Das ist also weniger Hauen und Stechen, als vielmehr (Ver-)Schieben und (Ver-)Drängen. Im städtischen Raum drückt sich dies u. a. durch subtil regulativ wirkende Raumgestaltungen aus, die bestimmte Verhaltensweisen fördern oder verhindern. Die Aufgabe der Kunst kann es sein, solche hinter Alltagsroutinen verborgenen Defizite offen zu legen und Alternativen aufzuzeigen.
2)
Saskia Sassen unterscheidet öffentlichen Raum von öffentlich zugänglichem Raum. Welche Erwartungen verbindest du selbst mit dem öffentlichen Raum? Antike Agora oder moderne Mall?
Der öffentliche Raum ist ja bekanntermaßen nur ein utopisches Ideal, das es angesichts der immer herrschenden Ausschlussmechanismen nie gegeben hat und niemals geben wird. Wir gehen also vom öffentlich zugänglichen Raum aus, der zwischen Alltagsroutinen, Aneignung, Selbstermächtigung und allerlei Geschäftsinteressen hin und her oszilliert. Wir erwarten vom urbanen Raum Reibung, Spannung und Entladung.
3)
Man spricht in der Kunst seit ein paar Jahren vom social turn. Gemeint damit ist die Einbeziehung von sozialen Prozessen und ihre Veränderung durch künstlerische Aktivitäten. Inwiefern würdest du deine Arbeit mit dem social turn assoziieren?
Insofern als dass unsere Arbeit vor dem Hintergrund eines ausgeprägten Interesses für das, was um uns herum geschieht, geschehen ist und geschehen wird, entsteht und sie historische, soziale und urbane Themenfelder untersucht.
4)
Die Kunst verfügt, nach Jacques Rancière, über einen emanzipatorischen Rahmen, innerhalb dessen der/die BetrachterIn die eigene kreative Vorstellung üben könne. Geteilte Kreativität zwischen KünstlerIn und BetrachterIn, wie in partizipatorischen Arbeiten, eröffne Möglichkeiten zu neuen Handlungsweisen. Macht sich der/die KünstlerIn durch eine solche Praxis nicht überflüssig à la longue?
Nein.
5)
Welche Bedeutung hat jene Kunst für dich, zu deren Herstellung und Verwendung andere Menschen – Künstler oder Nicht-Künstler, das Publikum – involviert sind?
Arbeiten an deren Entstehung andere Menschen beteiligt sind, sei es als Darsteller in Videos oder als Ausführende bei Aktionen im Stadtraum, sind von Anfang an Teil unserer gemeinsamen Arbeit gewesen. Besonders interessant ist die Zusammenarbeit mit Menschen, die in ihrem Alltag keine oder nur wenig Berührung mit Kunst haben, da in der Vorbereitung ganz andere Fragen behandelt werden müssen. Wir erhalten Einblick in uns fremde Lebensrealitäten, die zwar nicht unbedingt direkter Teil der Aktion sind, aber unser Bild der Arbeit prägen. In den meisten Fällen handelt es sich aber um ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis mit uns in der Rolle des Auftraggebers.
Der Wachmann, der 2007 im Skulpturenpark_Berlin-Zentrum unsere Arbeit „Neue Grenzen“ durchgeführt hat, wusste nicht, dass er durch sein Tun eine künstlerische Arbeit herstellt bzw. dass er selbst die Arbeit ist.
Ziel war in diesem, und auch im Falle der Aktion für „Playing the City“, die Herstellung eines „performativen Ready-Mades“.
6)
Welche Erfahrungen hast du bei deinen bisherigen Projekten gemacht, die die aktive Beteiligung des Publikums, insbesondere die Herstellung und Realisierung der Projekte betreffend, erfordert haben?
Bisher war das Publikum nicht aktiv an der Herstellung unserer Projekte beteiligt. Unsere Aktionen im Stadtraum sind zum Teil sehr subtil. Die Passanten können sie – ohne entsprechende Vorinformation – sehr leicht übersehen oder für „normal“ halten, selbst dann, wenn sie mit dem Ausführenden interagieren.
7)
Innerhalb der partizipatiorischen Kunst kann man zwischen Ausführenden und Mit-Schaffenden unterscheiden. Die Kunst als Idee und das Resultat als soziale Arbeit?
Die Ausführenden unserer Arbeiten sind meist bezahlte Mitarbeiter. Die Resultate sind flüchtige Handlungen, performative Ready-Mades. Das Soziale passiert davor, danach und währenddessen.
8)
Jean-Luc Nancy kritisiert die Gemeinschaft in ihrem Gemein-Sein, einer quasi religiös gestifteten Identität. Vielfalt, so Boris Groys, sei der primäre Wert, den die partizipatorische Praxis herstelle. Worin besteht nun eigentlich dieser Trend zu Kooperationen, Kollaborationen, Künstlerkollektiven – abseits einer erfolgreichen Kommunikation innerhalb des Kunstsystems?
–
9)
Vieles der partizipatorischen Kunst referriert auf Happening oder Theater. Eine dieser Diskursformen, die aus der ehemaligen Sowjetunion der 1920er Stammt, namentlich das unsichtbare Theater, hob radikal die Trennung von SchauspielerIn und ZuschauerIn auf. Welche Beziehung hast du und hat deine Kunst mit dem Theater?
Da unsere Arbeit stets Fragen der im Stadtraum herrschenden Machtverhältnisse behandelt, sind Theater, Bühne und Inszenierung fast zwangsläufig ein Thema. Der städtische Raum gibt durch seine Ausgestaltung und gesellschaftliche Absprachen gewisse Handlungsparameter (wie Regieanweisungen) vor. Je mehr Interpretationsspielraum diese Anweisungen dem Raumnutzer lassen bzw. je freier diese Anweisungen von den Raumnutzern interpretiert werden, umso besser.
10)
Wie wichtig ist es dir, mit deiner Kunst auf das Verhalten der anderen einzuwirken? Von welchen Erwartungen (d)eines Publikums gehst du normalerweise aus?
Es gibt unserer Ansicht nach nur wenige KünstlerInnen, die es schaffen bzw. geschafft haben, mit ihrer Kunst das Verhalten des Publikums nachhaltig zu verändern. Für uns ist dies nicht der wesentliche Ansporn für unsere Arbeit. Wir freuen uns aber, wenn die Arbeiten sich auf unser Verhalten auswirken.
Die Erwartungen des Publikums spielen bei der Ausarbeitung eines Projektes eine eher untergeordnete Rolle, da sie sich nicht vorhersagen lassen. Wir lassen uns einfach überraschen.
nach oben