Christoph Schütte
Im Anfang war die Erde wüst und leer und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und murmelte, weil’s ständig Nacht und überhaupt recht kühl und dunkel war, in seinen langen weißen Bart, dass es vermutlich ungleich schöner wäre, er sähe auch, was er da aus dem Nichts heraus erschaffe. Bis ihm und fortan aller Welt ein Licht aufging. Das aber war bekanntlich vor unserer und überhaupt vor aller Zeit, will sagen: Wiewohl sich die Bilder auf den ersten Blick verblüffend gleichen, wäre es doch arg vermessen, auf festem Boden und im gerade neu erschlossenen Offenbacher Niemandsland den Schöpfungsmythos zu bemühen.
Und doch, so weit ist das Bild dann vielleicht gar nicht hergeholt. Denn das Licht, das Wiebke Grösch und Frank Metzger hier in die Brache des ehemaligen Hafens als ein Zeichen leuchten lassen, mag man durchaus als Initialzündung und als Signal verstehen: Hier nämlich, sagt der Schriftzug, ist etwas im Entstehen. Und am Anfang ist wie ehedem: die Kunst. Und dann erst einmal eine Weile nichts.
Denn so einfach ist es wieder nicht, dass das etwa durch das Studium an der Hochschule für Gestaltung der Stadt so eng verbundene Künstlerpaar gleichsam ein künstlerisch veredeltes Bauschild auf das Gelände transferierte, das als Filetstück Offenbacher Stadtentwicklung Platz für Arbeit, Kunst und Wohnen, kurz: für urbanes Leben bieten soll. Zwar haben sich Grösch und Metzger, deren Interesse schon seit Jahren um Fragen von Urbanismus und Soziokultur kreist, auch in der Vergangenheit schon mit Stadtmarketing und dem sogenannten Branding beschäftigt. Aber keineswegs als willfährige Dienstleister, sondern als künstlerische Feldforscher, deren stets akribisch recherchierte Arbeit in wechselnden Medien sichtbar macht, was wir sonst gerne übersehen.
Das gilt für die Untersuchung zur Entwicklung der als gleichsam mikrokosmische Idealstädte geplanten Olympischen Dörfer in Berlin, Rom, Innsbruck oder London ebenso wie für den im Rahmen der Ausstellung „Nizza Transfer“ problematisierten Strukturwandel der Metropolen im postindustriellen Zeitalter. Die aktuelle Arbeit im Offenbacher Hafen, selbst Inbegriff dieses radikalen Wandels, ist insofern nicht zuletzt Ausdruck der Konsequenz, mit der Grösch und Metzger ihr Themenfeld beackern – und in künstlerische Formen gießen.
Als Bild, als Kunst im öffentlichen Raum, ist dieses schwebende „Universum“ freilich wesentlich abstrakt. Und doch voller Verweise, die erst in der für die beider gemeinsames Werk charakteristischen Kontextverschiebung offenbar werden. Denn den Schriftzug haben die stets konzeptuell vorgehenden Künstler nicht etwa aus dem Nichts heraus geschaffen und sich ausgedacht, sondern gleichsam vorgefunden. In einer anderen Zeit, doch nicht viel mehr als einen Steinwurf von eben diesem Ort.
Als Offenbach noch eine Arbeiter- und Industriestadt war, es gerade wieder aufwärts ging nach der Weltkriegskatastrophe, war das „Universum“ in der einst so prachtvollen Kaiserstraße das modernste unter zahlreichen Filmtheatern der Stadt. Ein Ort, wo Träume, Phantasien, Putz und Glamour eine andere Welt als die gegebene versprechen mochten, die nur darauf zu warten schien, dass man sie entdecke und erobere. Doch das ist reichlich lange her. Das Kino, das einst diesen Namen trug, existiert schon längst nicht mehr: Der letzte Vorhang fiel an eben jenem Tag, an dem Wiebke Grösch und Frank Metzger ihre Wohnung in der Kaiserstraße bezogen, just über dem „Universum“, um genau zu sein. Nur das Versprechen über dem Eingang Nummer 55 ist geblieben und hängt, vergessen und kaum wahrgenommen, noch heute dort.
Und auch sonst ist nichts mehr wie zuvor. Fernsehen, Video und DVD und nicht zuletzt, so paradox es klingen mag, die gewaltigen Multiplexe „killed the movie“ und eine ganze Filmkultur. Und mit dem Umbau der gewachsenen Städte, mit Kommerzialisierung, Shopping Centern auf der grünen Wiese und dem Verschwinden urbaner Strukturen verschwand der öffentliche Raum fast unbemerkt gleich mit. Von der Lederstadt spricht man derweil in Offenbach allenfalls noch zu Messezeiten, und aus dem blühenden Industriestandort des 19. und 20. Jahrhunderts wurde eine Stadt, in der nach dem Willen der Entscheider Künstler und Kreative frei gewordene Nischen, Gewerberäume und Fabriken besetzen sollten. Der Leerstand als Chance, und mancherorts hat es sogar geklappt. Die Kunst – Berlin, aber auch die blühende Frankfurter Off-Kultur der neunziger Jahre haben es vorgemacht – lässt sich da nicht lange bitten.
Indes, als Betrachter, als jemand, der das Werk womöglich nur für einen kurzen Augenblick aus seinem Auto wahrnimmt, muss man von alldem, von strukturellen, mal offenkundigen, mal nur als Subtext entzifferbaren Implikationen gar nicht einmal wissen. Als aus dem Kontext gefallenes, von Grösch und Metzger buchstäblich in „futura“ gewendetes und gleichsam auf die grüne Wiese und zu neuen Ufern verschobenes Kunstwerk funktioniert es doch sofort.
Nicht nur, weil es für den Kunstbeflissenen vom Readymade über die Lichtkunst bis zu Pop und Minimal und Concept art eine Fülle von Assoziationen herauf beschwört. Entscheidend ist vielmehr, dass es außerhalb dieses Kontexts, im Alltag und im urbanen Umfeld seinen Platz behauptet. So mag man an die Raumfahrt, den Sputnik-Schock der fünfziger Jahre und mithin an die Entdeckung der Schwarzen Löcher denken; an Miss Universum meinetwegen (die, nebenbei bemerkt, kaum zufällig gleichfalls in den Fünfzigern das Licht der Welt erblickte), an das lange Leuchten und Verglühen von großen Stars und kleinen Sternchen; liegen dem Filmliebhaber vielleicht die „Raumpatroullie Orion“ oder die „unermesslichen Weiten“ aus dem „Raumschiff Enterprise“ näher.
Noch verwegenere Flaneure denken womöglich an den verführerischen Glanz, der die wahren Metropolen auch heute noch erleuchtet, an die Palmen der Croisette, die auch am Main in einen strahlend blauen Himmel wachsen könnten oder gar an den „Hollywood“-Schriftzug in den Hügeln über Los Angeles. In einem Wort: Im Kern ist dieses „Universum“ nichts anderes als ein großes, hell leuchtendes Versprechen, an einem Ort, der für eine blühende Industriekultur ebenso exemplarisch steht wie für ihr allmähliches Verschwinden.
Und markiert damit Aufbruch, einen neuen Anfang und, so man pathetisch werden will, das erste Wort im dunklen Kosmos, das göttliche „Es werde Licht“, prosaischer: einen Offenbacher Urknall, von dem aus sich der Raum der Möglichkeiten allererst entfaltet. Nun mag es eine verwegene Utopie sein, dass die Kunst, hat sich das Chaos erst einmal gelegt, sich in dieser neuen Welt auf Dauer und mit Glanz behauptet. Doch Grösch und Metzger wären nicht die Künstler, die sie nun einmal sind, bestünden sie nicht mit stiller, aber hartnäckiger Entschiedenheit darauf.
„No Art – No City“ lautete vor ein paar Jahren der Titel einer Ausstellung, die sich den „Stadtutopien in der zeitgenössischen Kunst“ widmete und in der nicht ohne Grund auch das Werk des Künstlerduos Grösch/Metzger vorgestellt wurde. Ein Slogan, der die Arbeit dieser beiden Künstler programmatisch verdichtet. „No Art – No City!“ aber versprach, wenn man es recht bedenkt, schon das Filmtheater in der Kaiserstraße in den Nachkriegs-Gründerjahren. Wo freilich, wenn nicht hier und jetzt und für die Zukunft, wollte man noch einmal daran glauben? Ein lapidarer Schriftzug, nicht mehr. Als Kunst im öffentlichen Raum aber setzt „Universum“ ganz selbstverständlich, als ebenso schlichte wie wirkmächtige Geste, ein nicht zu übersehendes Zeichen: als Versprechen einer humaneren, wahrlich urbanen und lebenswerten Stadt. Und siehe: Es ward Licht.
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